EIN FESTIVALBERICHT VOM SMS
Wer braucht schon Tomorrowland? Die wahren Gefährten elektronischer Tanzmusik bevölkerten am zweiten Augustwochenende anno 2013 ein kleines Zion wahrhafter Basskultur: Saalburg. Zwischen der Thüringer Bleilochtalsperre, nicht weit von Auenland und Vogtland entfernt, stampften sie drei Tage zufrieden mit der Welt die Beats in den Boden der elektronischen Mittelerde, als würden sie das Wort Spaß für alle Zeit in Stein meißeln wollen. Scheiße, war das ein geiles SMS, oder?
Redaktion: Eva-Maria Körner, Malte Hestermann, Henryk Balkow, Sebastian Herzog
Fotos/Videos: Tim Pathe, Jonas Turtschan, Henryk Balkow
Vom neunten bis elften August 2013 wurde ein kleines Dorf inmitten von Thüringen von zehntausenden Menschen von allen Himmelsrichtungen angesteuert und verwandelt sich zu einer Zelt-, Chill- und Tanzarea am Thüringer Meer. Alle haben nur ein Ziel: DAS 17. SMS. Ein ganzes Wochenende lang ist die Gemeinde Saalburg im Ausnahmezustand. Eine ständig wachsende Community steht drei Tage unter Dauerstrom. Wir tauchen ein in eine Welt nicht endender Bässe zwischen 124 und 130 bpm. Wer denkt, bei solch exzessiver Feierlust werden die Besucher schnell aggressiv, entdeckt hier ein ganz neues Weltbild einer friedlichen Party-Nation. Wir fühlen uns herzlich aufgenommen in eine Gemeinschaft der Elektro- und Technoszene. Überall sprechen uns Leute in bunten oder knappen Outfits freundlich an, man hilft sich, man lernt sich kennen. Dabei gibt es durchaus Competitions. Nicht nur an den Kostümen wird sich gemessen, sondern auch an den Wohnungseinrichtungen auf dem Campingplatz. Notstromgeneratoren sind auf dem 17. SMS keine Seltenheit mehr. Ganze Stubengarnituren werden angekarrt. Jeder macht es sich gemütlich und Campingnachbarn werden schnell zu neuen Bekanntschaften. Keine einzige Minute Ruhe. Aus allen Ecken dröhnen Membrane mit sommerlichen Beats. Unsere Beine wollen nicht aufhören zu tanzen. Ein paar Stufen durch das imposante Tor und wir blicken von oben auf das riesige Festivalgelände. Vor uns breitet sich eine farbenfrohe Anderswelt auf. Herzen gehen auf. So viele Menschen haben monatelang auf diesen Moment hingefiebert. Unsere Reporterin Eva ist ganz außer sich und tänzelt leichtfüßig die Stufen hinunter. Überall große Zelte, Licht und Bühnen. Alles ist Bewegung. Niemand steht still. Kaum zu glauben, dass sich in dieses kleine Dorf an der Bleilochtalsperre große Namen wie Knife Party oder Seeed verirren. Dabei ist das SMS ist inzwischen eins der beliebtesten Adressen unter den Electrofestivals. Auf acht Stages und einem Partyboot legen dieses Wochenende Dutzende DJs auf. Live-Künstler heizen die Massen von der Mainstage auf. Dahinter thront imposant das große Logo des SMS, wie ein endloser Loop an Freude am Tanzen.
Nach unseren ersten drei Stunden auf dem Festivalgelände gönnen wir uns eine Pause auf dem Presseboot. Dort holt sich unser Fotograf Jonas Anregungen von einem Profi. Kurz nachdem wir das Presseboot wieder verlassen bekommt unser Reporter Malte unverhofft eine Bierdusche.
Immer öfter kommen Menschen auf uns zu und wollen ein Bild. Unser Fotograf Jonas kommt fast nicht mit den Fotos hinterher. Bis 6 Uhr in der Früh sammeln wir Eindrücke auf dem Festival. Dieses Jahr schießt das SMS-Line-Up schon am Freitag aus allen Rohren. Im Vergleich zum letzten SMS wird es dieses Jahr wieder etwas härter. Letztes Jahr war das Jahr von Klangkarussell und andhim. Seichte, sommerliche Beats aus Berliner Szenebezirken eroberte die Clubs und Strände. Dieses Jahr schließt das Line-Up eher an Skrillex an, der letztes Jahr auf der Mainstage das Publikum ausrasten ließ. Bloody Beetroots und Knife Party lassen ordentlich die Boxen donnern. Das erinnert an Prodigy, die hier vor vielen Jahren schonmal die Haltbarkeit der Membrane ausgehebelt haben. Auf SMS 2013 sind viele Acts für Liebhaber. Außer Seeed wenige Pop-Acts, dafür internationale Stars der jeweiligen Electroszenen. Joris Voorn, der auch auf Tomorrowland auflegte, das Londoner Trio Nero oder die Drum’n’Bass-Stars Netsky zum Beispiel. DJs und Produzenten wie Marek Hemmann, der mit seinen Freunden vom Tanzen schon seit Jahren das muna-Zelt auf SMS bespaßt, legt inzwischen als Hauptact auf der Mainstage auf. Kinder, wo die Zeit bleibt…
Und überhaupt sind viele alte Bekannte auf dem 17. SMS, wie sich das gehört. Mathias Kaden beschrieb es in unserem Interview vergangenes Jahr ja auch wie eine Art Ferienlager der elektronischen Musik, zu dem sich alle jährlich treffen. Und so darf ein Douglas Greed genausowenig fehlen, wie ein Karotte, Miss Kittin, Lexy und K Paul, Boys Noize oder Mia. Oliver Koletzki, Fritz Kalkbrenner und Aka Aka bringen auch den Berliner Beat des vergangenen Jahres wieder mit in die Runde. Ach ja und Sven Väth als Vater des Cocoon-Zelts ist natürlich auch dabei. Und wer hätte gedacht, die Modeerscheinung Moderat gibt’s auch noch – und das seit inzwischen 12 Jahren. Kein Wunder, dass das SMS wie ein Fest der Generationen wirkt. Nachts und in Kostümen sind ja eh alle gleich. Aber irgendwann wird’s auch wieder hell und geht es zurück zum Zeltplatz. Nach einer Dosenravioli fallen wir in einer Mischung aus fertig, fröhlich und einem Rest aufgedreht in die Schlafsäcke. Drei Stunden Schlaf insgesamt vielleicht und schon geht es wieder auf das Gelände . Wir laufen durch den obligatorischen Dixi-Klo-Geruch. Wir sehen den Menschen ihre letzte Nacht an. Der SMS-Mittags-Blues. Manche hängen wie Zombies vor ihren vollgemüllten Zelten. Und wir wissen, am späten Nachmittag sind sie alle wieder an Bord der MS SonneMondSterne und steppen.Und siehe da… nach einem Kaffee auf dem Presseboot betreten wir wieder das Gelände erneut und sind erstaunt. Wo vor wenigen Minuten noch eine trostlose von Müll geprägte Fläche war, tanzen wieder Menschen am Strand und im Wasser. Dann wieder in die Zelte zu Beats stampfen, mal wieder an die Hauptbühne schauen, mal chillen, mal wieder Campingplatz und Dosenfutter machen. Dann wieder durch die fröhlichen Massen zum Festivalgelände wie durch einen Parcours der Fröhlichkeit.
In diesem Loop versinken wir. Die Ernüchterung am Sonntag Nachmittag ist groß. Alle reißen ihre Zelte ab und reisen ab. Sie verlassen die MS SonneMondSterne und die elektronische Mittelerde bei Saalburg am Thüringer Meer wieder in alle Himmelsrichtungen gen Alltag. Aber mit etwas Glitzer über den Augen und der Gewissheit: nächstes Jahr ist wieder Ferienlager.
2013