Die Fusion – Der Festivalcheck
Mit Vorfreude auf die Fusion: Endlich meinen Traum seit meinem zwölften Lebensjahr erfüllen. Und ab gehts.
Von Tabea Zentgraf | Fotos: Denny Willmann
Von Leipzig aus fahren wir, meine beiden Schwestern und eine Freundin, nach Neustrelitz mit dem Zug, der in Berlin ziemlich voll wird. Kein Wunder- etliche Festivalfanatiker kommen von Station zu Station zusammen und steigen mit samt ihrem Gepäck ein. Die Gemeinschaft und die familiären Eindrücke überwältigen mich. Jeder möchte jedem helfen. Die Reise verläuft planmäßig und in Neustrelitz wartet auch schon der Shuttlebus nach Lärz auf uns. Dort befindet sich der ehemalige russische Militärflugplatz, den der Verein „Kulturkosmos Müritz e.V.“ 2003 kaufte, um dort jährlich die Fusion und alle zwei Jahre das „at.tension Festival“ stattfinden zu lassen. Ganz angespannt und geschafft warte ich auf die Zeltlandschaft. Nun kann ich sie sehen! Alle Blicke sind auf das bunte Gewimmel gerichtet, 55.000 Menschen auf einem Fleck der Selbstdarstellung. Glitzer in den Haaren, aufwendige Kostüme, bunt geschminkte Gesichter – alles erinnert an eine Fantasiewelt, nichts soll an den eintönigen Alltag erinnern.
Kaum sind wir auf dem Gelände angekommen, geht es los mit dem Einheizen. Alle wollen schnellst möglich aussteigen und tanzen gehen. Selbst der Busfahrer spürt die Energie der Leute und drückt noch einmal richtig auf das Gaspedal. Schließlich ist es ein Wettrennen zwischen Freude und Müdigkeit. Immerhin sind die meisten schon seit mehreren Stunden unterwegs. Als wir anhalten, quetschen sich alle aus dem Bus, jeder versucht der Erste zu sein. Mit der Masse mitgerissen, kommen wir schnell am Einlass an und da ist das Bändchen auch schon am Arm. Nun geht es darum, den besten Platz zu ergattern. Wir suchen uns einen Stellplatz für unser Zelt aus, der möglichst nah am Geschehen aber dennoch leise genug zum Ausschlafen und Ausruhen in den Feierpausen ist. Es war klar, dass wir dafür lange laufen müssen. Endlich finden wir den perfekten Platz. Der Regen begrüßt uns, sodass das Zelt dementsprechend schnell steht. Das wichtigste ist jetzt das nächste „WC-Royal“ aufzusuchen, da wir nichts von Dixi Klos halten. Wir müssen nicht lange suchen, da sie auf dem Plan des Geländes mit einer goldenen Krone gekennzeichnet sind. Erleichterung kommt auf – unser „WC-Royal“ ist nur drei Minuten entfernt.
Als nächstes erkunden wir das gesamte Gelände, um uns einen genauen Überblick zu verschaffen. Überall sind Roboter, andere seltsame Figuren und technische Wunder, wie zum Beispiel eine überdimensionale Murmelbahnen oder ein Wasserfall komplett aus Stahl und Blech. Es ist bewundernswert, dass all diese verrückten Dinge größtenteils ehrenamtlich aufgebaut wurden. Diese Projekte stehen unter dem Motto: „Jeder macht soviel er kann und was nicht geht, muss eben jemand anderes machen oder es bleibt halt liegen.“ Viele bezeichnen die Fusion auch als „Parallelgesellschaft“ oder „Ferienkommunismus“. Selber sagen sie: „ […] sein zu können wie man will: zwanglos und unkontrolliert. Wir wollen mehr als das, was uns in diesem Leben geboten wird. Nämlich alles und zwar sofort!“. Der Shower-Tower ist eine Attraktion für sich, wer keine Schamgefühle hat, kann dort gediegen vor allen Menschen duschen gehen- eine Hippieoase.
Als wir zur „Fressmeile“ laufen, fallen mir am Boden komische kleine Hügel auf. Ich folge ihnen mit meinen Augen und bleibe verblüfft stehen. Da steht ein kleiner Mann, indischer Herkunft, und schneidet jemandem die Haare. Und das sieht sogar ziemlich professionell aus! Ich bin sehr dazu geneigt mich ebenfalls anzustellen, jedoch ist mir die Schlange von wartenden Menschen zu lang. An einem der vielen veganischen und vegetarischen Fressstände kaufen wir uns unser Abendbrot . Weit und breit ist kein Stand zu sehen, der Fleisch verkauft. Auch die Alkoholischen Getränke belaufen sich auf Bier und kleinere Cocktails. Es gibt keinen puren, hochprozentigen Alkohol zu kaufen. Wir entscheiden uns für Kartoffelecken mit Kräuterquark. Lecker!!
Nun sind wir satt und vollgegessen und nähern uns der Turmbühne, auf der gerade Drum ’n Bass gespielt wird. Langsam nähert sich die Dunkelheit. Dann startet eine ziemlich beeindruckende Lasershow, die mich kurzzeitig glauben lässt fliegen zu können. Wir laufen ein Stück weiter zur Hangarbühne, die Hauptbühne.
Dort befindet sich auch die berühmt berüchtigte Rakete, das Merkmal und Maskottchen der Fusion. Hier legt gerade eine ziemlich energiegeladene DJane namens „MISSILL“ ein ziemlich geniales Liveset hin.
Ihre Musik ist geprägt durch einen schnellen Beatwechsel, der mir gekonnt und individuell erscheint. Alle Leute sind dabei sich die Seele aus dem Leib zu tanzen und zu springen. Auch MISSILL gibt alles. Manche Gruppen haben sich ein Maskottchen an einen Stab gebunden, damit sie sich in der Menge wiederfinden können. Diese sieht man über allen Köpfen im Takt auf und ab hüpfen. Man könnte fast behaupten die Kreativität wird von der Fusion neu erfunden: aufgespießte Erdbeerkuscheltiere, ein kleines Wohnzimmer, in dem ein Fuchs auf einem Sessel sitz, „Partyschirme“ mit Lichterketten und Lametta, Schilder auf denen zu lesen ist „endlich normale Leute“, man fühlt sich wie in einer großen Familie, die jeden liebt und aufnimmt. Auch wenn sicher jeder zweite etwas intus hat, ist alles sehr friedlich. Jeder Mensch interpretiert das Wort „Tanz“ anders. Manche brauchen mehr als einen Quadratmeter, manche sind in einer komplett anderen Welt und wiederum andere beobachten andere und machen den typischen Rechts-links-rechts-links-Schritt. Alles wird akzeptiert keiner wird schief angeguckt. Allgemein ist das Programm breit gefächert. Von Electro, Minimal zu Dubstep und Hip-Hop über Rock, Jazz, Klezmer bis hin zu finnischem Tango.
Auch Mitteldeutschland ist unter den Live-Acts vertreten. Wie beispielsweise die Band Karocel, bestehend aus dem thüringischen House-DJ Matthias Kaden und dem Leipziger Live-Electro-Quartett Marbert Rocel (Sängerin: SPUNK, DJ und Produzent: Malik, Rhodes: Martin Kohlstedt, an Reglern und Saxophon: Panthera Kraus), die ich erst vor kurzem beim „Fête de la Musique“ in Erfurt gesehen habe. Jan Roth ein waschechter Erfurter, eigentlich der Schlagzeuger von Hundreds, überzeugt mit einem Piano und mit
seinen Freunden Niklas Kraft und Marcel Aue aka DJ Malik, Fans der Instrumentalen Musik.
Auch Poetry Slams, Theaterstücke, elektronische Musicals, Musicals allgemein und Kino werden angeboten. Gegen 3 Uhr gehen wir zurück zum Zelt, da uns die Kälte des Regens unter die Haut kriecht. Ich habe Schwierigkeiten einzuschlafen, weil es 4 Uhr schon wieder hell wird und der Bass durchgehend dröhnt. Gegen 8 Uhr stehen wir auf, nachdem wir nur etwa eine Stunde geschlafen haben. Wir holen bei strömendem Regen Kaffee und einen leckeren frisch gepressten Fruchtsaft. Bis zum späten Nachmittag hängen wir im Zelt rum und überlegen uns wohin wir gehen wollen. Als der Himmel sich aufklart, ergreifen wir die Initiative los zugehen. Von überall dröhnt der Bass und wir wissen nicht, welchem Beat wir folgen sollen. Uns zieht es in das Zirkuszelt, da es dort schön warm ist. Hier verweilen wir den Rest der Nacht zu guten, elektronischen Beats und live Bands, welche gute Stimmung verbreiten.
Zurück im Zelt lege ich mich mit dem Wissen hin, dass es Morgen wieder Nachhause geht. Mit diesem Gedanken wache ich auch wieder auf. Das Zelt wird schnell abgebaut und ein letztes mal hole ich mir Kaffee und Crêpes. Die Abreise verläuft genauso reibungslos wie die Anreise. Geschafft Zuhause angekommen, fertig mit allem und zu elanlos um duschen zu gehen, falle ich zufrieden in mein geliebtes Bett. Ich denke noch lange über das Festival und die gesammelten Eindrücke nach und lasse sie auf mich wirken.
Für mich war es ein geniales Festival und mit dieser Erinnerung schlafe ich langsam ein.
Titelbild: Marcus Sümnick