Irgendwann ist Schluss mit Mutti und Vati am All-Inclusive Strand brutzeln. Auch das ständige Verstecken im Gebüsch, um mal auf Klassenfahrt ein Bier zu trinken wird uncool. Nun steht wieder ein Sommer bevor – ein kleines Stückchen Freiheit, ein bisschen mehr Wind in den Segeln als sonst. Schnapp dir einen Reiseführer, Gefährt deiner Wahl und geh doch einfach mal reisen! Günstig rumkommen, richtig was sehen, den ganze Mist hier hinter dir lassen, mal dein Ding machen!
Aber Reisen ist doch so politisch. Schnell noch ein paar Dutyfree Blutdiamanten im Kongo kaufen oder Kopftuchpflicht in Dubai wegen osbzönen Touristen sind extreme Beispiele. Aber wo immer wir hintrampeln, die Touri-Latschen mit Tennissocken zerquetschen Familien, Dörfer, Städte. Wenn sich jemand mit diesem Trampel-Reisen auskennt, dann Tony Wheeler.
Juma traf den Buchautor und Gründer des alternativen Kult-Reiseführers Lonely Planet auf dem “International Journalism Festival” in Perugia, Italien.
Tony nahm sich in den Siebzigern ein Jahr Pause nach der Schule. Er wollte von seiner Heimat London nach Australien reisen. Daraus wurden vier Jahre, Tony traf auf der Reise seine Frau. Irgendwo zwischen Istanbul, Kabul oder Melbourne kam ihm die Geschäftsidee seines Lebens: Ein neuer Reiseführer, inspiriert vom “Notes-swapping”, mit dem Reisende ihre Notizen über unbekannte Gegenden austauschten. Frühes Crowdsourcing, viele Reisende schreiben ihre persönlichen Auslandserfahrungen auf und bündeln sie in einem Buch – dem “Lonely Planet”.
Der Kult-Reiseführer für „Individualreisende“ rollte über den Planeten, durch viele Rucksäcke hindurch, wurde in vielen schäbigen Herbergen bei schwachem Licht auf fleckigen Betten konsultiert. Und Tony wurde bald an den Pranger gestellt.
„Für eine Presentation habe ich einmal zum Spaß ein paar Fotos zusammengeschmissen – Orte, die ich auf dem Gewissen haben soll“ erzählt Tony in Perugia. „Viele werfen mir vor, ich hätte die nicht erschlossenen Strände Goas, den Himlaya mit seinen Schäfern zerstört. Aber ich habe die Reisebusse doch nicht herangekarrt.“
Felder, Berge, Pfade ausleiern, abnutzen, auslutschen – das kann jede Reisegruppe gut. Und wir kennen das auch, von den Schirmchen-Wüsten der Costa Brava zum Beispiel.
Genau dieser Verdichtung von Reisezielen auf eine Handvoll Fleckchen Erde wollte der Lonely Planet entgegenwirken. „Die klassische Touristenindustrie“, kritisiert Wheeler, „schiebt Probleme ins Nirvana. Weitblicke für Orte wie Lampedusa, Kongo oder Haiti gehen verloren.“
Tausende haben sich an Randgebiete gewagt, haben hinter die Sonnenschirm-Kulissen der Welt geschaut, wie auch diese zwei verrückten Vice-Backpacker bei Waffenherstellern in Pakistan – ob mit oder ohne Lonely Planet, auf jeden Fall mit Entdeckerlust.
Doch hinter die Kulissen von blutigen Diktaturen zu schauen ist ein zweischneidiges Schwert. Die Wahnsinnigen, die in den Siebzigern nach Kambodscha getingelt sind, als Paul Pot dort gerade seinen Völkermord veranstaltete, haben ihr Geld in die blutigen Rachen des Khmer Rouge Regime geschmissen; Aber eben auch den zermürbten Menschen zugehört. Also: Reisen als Unterstützung für Diktatoren oder Segen für die Unterdrückten?
Die Geschichte des Lonely Planet zeigt am krassesten die Kraft des grenzensprengenden Reisens. Wheeler beharrte trotzdem darauf, aus dem üblichen auszubrechen: Der ehemalige US-Präsident Bush beschwor damals die Achse des Bösen aus Irak und Afghanistan herauf. Damit wollte er der Welt zeigen, was für schreckliche Orte und Schicksale es dort gibt. Wheelers Reaktion darauf war „Great, I wanna go there!“ Und er ging und schrieb ein Buch über diese angeblichen Bösewichte, unter denen er fröhlich reiste.
Überspitzt gesagt, die Top Destinationen für diesen Sommer sind also: Jerusalem mit Abstecher ins Westjordanland, Baghdad oder was davon noch steht und die östliche Ukraine.